Interview mit Birgit Greuner in:land und forst Land & Forst 08/2016

Per PC oder Smartphone ins Internet: Jugendliche sind häufig online unterwegs. Wie beeinflusst dieses „Hobby“ unsere Kinder? Dazu Diplom-Pädagoge Eberhard Freitag aus Hannover.

Das Zimmer ist abgedunkelt, der Computerbildschirm leuchtet, die Hand auf der Maus zuckt hin und her: Der 14-jährige Tom spielt am PC. Seine Schwester Pia, 16 Jahre, liegt nebenan auf ihrem Bett mit dem Smartphone in der Hand. Sie schreibt über Whatsapp mit ihren Freundinnen. So wie Tom und Pia verbringen viele Jugendliche ihre Freizeit im Internet. Wir haben den Diplom-Pädagogen Eberhard Freitag, Leiter der Fachstelle Mediensucht return in Hannover, zum intensiven Internetkonsum bei Jugendlichen befragt.

Herr Freitag, das Internet zieht seit Jahren Kinder und Jugendliche in den Bann. Womit beschäftigen sich Jungen dort hauptsächlich?
Jungen spielen zum einen gern Onlinerollen- und -strategiespiele. Sie ‚treffen‘ sich mit bekannten oder unbekannten Mitspielern im Internet und vertiefen sich in Angebote wie Simulationen aller Art, Minecraft (Konstruktion von 3D-Welten) oder Egoshooter (Bekämpfung virtueller Gegner mit Schusswaffen).
Was vielen Eltern nicht bewusst ist: Viele Jungen sind auch regelmäßig auf Internetseiten mit pornografischen Inhalten unterwegs. Das tun sie aus Neugierde durchschnittlich mit elf Jahren zum ersten Mal. 20 Prozent der männlichen Jugendlichen von 16 bis 19 Jahren konsumieren dann aber sogar täglich Pornografie im Netz. Das zeigt eine Online-Befragung der Deutschen Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Sexualforschung von 2008. Diese Zahl dürfte heute höher liegen: Mit dem Smartphone ist das Internet quasi überall verfügbar.

Wie nutzen Mädchen das Internet?
Mädchen sind meist per Smartphone oder PC in sozialen Netzwerken unterwegs, bei WhatsApp, Instagram oder auf Facebook. Sie kommunizieren miteinander, tauschen Fotos und Videos aus. Viele Mädchen spielen auch, aber eher selten so intensiv, dass Probleme entstehen.

Nicht alle Eltern wissen, wie und wofür ihre Kinder PC und Smartphone nutzen. Wie können sie sich mehr Einblick verschaffen?
Eltern sollten zumindest in Ansätzen wissen, was ihre Kinder mit Smartphone oder PC eigentlich machen. Wie funktionieren Nachrichtendienste wie Whatsapp, welche Spiele nutzt ihr Kind und was fasziniert es daran? Lassen Sie sich diese Dinge von den eigenen Kindern selbst erklären. Diese fühlen sich ernst genommen und gehen dann auch eher ein Gespräch über ihr Konsumverhalten ein.

Wie beeinflusst die intensive Internet-Nutzung die Kinder?
Wer ständig das Smartphone zur Hand nimmt, kann sich zum Beispiel schlechter konzentrieren. Verbringt ein Kind viel Zeit am Bildschirm, können die Schulleistungen leiden. Beim PC-Spielen werden die Kinder durch häufige Belohnungen von außen motiviert. Das kann die Eigenmotivation schwächen. Müssen sie im Spiel gewalttätig handeln, kann ihr Mitgefühl abnehmen.

Und welchen Gefahren sind gerade Jugendliche ausgesetzt, die sich häufiger Pornografie im Internet anschauen?
Internetpornografie ist ein kostenloses und überall verfügbares Suchtmittel. Regelmäßiger Konsum kann unmerklich in ein Suchtverhalten übergehen.

Welche Folgen kann das haben?
Unter Umständen gibt es über etliche Jahre keine offensichtlichen negativen Auswirkungen für den Konsumenten. Die zeigen sich erst später, wenn zum Beispiel die Partnerschaft am fortdauernden Konsum zu zerbrechen droht oder der Arbeitsplatz durch den Konsum am Firmenrechner gefährdet ist.
Es ist wissenschaftlich unstrittig: Je häufiger Jugendliche Pornografie konsumieren, umso weniger hat Sexualität für sie mit Beziehung und Verantwortung zu tun. Der Sexualpartner wird tendenziell zum austauschbaren Objekt, die Beziehungsfähigkeit leidet. Diese Haltung befördert logischerweise leider auch sexuellen Missbrauch.

Wenn ich das Gefühl habe, dass mein Kind zu häufig im Internet ist: Ab wann muss ich mir wirklich ernsthaft Sorgen machen?
Zunächst einmal ist es wichtig, dass Eltern nicht bei jedem längeren PC- oder Handygebrauch sofort von „Sucht“ sprechen und damit Druck auf das Kind ausüben. Ob jemand wirklich süchtig ist, richtet sich nicht nach der Zeit, die er täglich im Internet verbringt. In unserer Beratungsstelle bewerten wir die Situation von Hilfesuchenden anhand eines wissenschaftlichen Fragebogens vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. Wir fragen neun Kriterien ab, die für eine Diagnosestellung erforderlich sind.

Was sind das für Kriterien?
Es ist zum Beispiel wichtig, ob Betroffene ihr PC-Spielen verheimlichen oder ob sie weiter spielen bzw. konsumieren, obwohl sie bereits Freunde oder ihren Arbeitsplatz verloren haben.

Klar ist, ohne Internet geht’s heute nicht. Kann ich mein Kind überhaupt angemessen auf die Gefahren vorbereiten?
Das können Sie! Die beste Vorbereitung ist eine stabile, wertschätzende Beziehung zu Ihrem Kind und seine solide Verankerung im Leben: Zeigen Sie Ihrem Kind, wie wichtig es ist, Freundschaften zu pflegen, Hobbys zu haben. So kann es Selbstvertrauen, eine gesunde Selbsteinschätzung und Kommunikationsfähigkeiten entwickeln. Lassen Sie Ihr Kind zunächst möglichst nur ins Internet, wenn Sie dabei sind oder eine Schutzsoftware installiert haben. Eine solche Software kann bis zum Alter von etwa 13 Jahren eine gute Hilfe sein.
Je älter ein Kind ist, desto weiter ist seine Persönlichkeit entwickelt. Es verinnerlicht mehr und mehr Werte wie Vertrauen und Respekt, kann reflektiert kommunizieren. Verletzt jemand diese Werte, zum Beispiel durch Cybermobbing (Belästigung über soziale Netzwerke*), nehmen ältere Kinder das besser wahr und können sich auch besser davor schützen.

Nochmal zurück zum Thema Pornografie: Woher weiß ich, ob mein Kind sich solche Seiten im Internet anschaut und was kann ich tun?
Zunächst einmal: Ich würde zumindest bei Jungen ab ca. 11 oder 12 Jahren grundsätzlich vermuten, dass sie sich Pornografie im Netz anschauen, weil sie einfach neugierig sind. Das setzt natürlich voraus, dass sie unbeobachtet die Möglichkeit dazu haben. Kinder bis etwa 13 Jahren sollten vor der Konfrontation mit solchen Inhalten unbedingt geschützt werden, am besten mit einer Seitenfiltersoftware.
Mit Jugendlichen müssen wir darüber sprechen, was das regelmäßige Anschauen von Pornografie im Internet bewirken kann. Jugendliche sollten wissen, dass der Konsum ihre Sehnsucht nach Liebe und Partnerschaft nicht stillt, dafür aber ihre Phantasie vergiftet und ihnen ihre eigene Entdeckungsreise stiehlt. Für das Gespräch darüber ist entscheidend, ob Eltern eine vertrauensvolle Beziehung zu den Kindern haben.
Wenn Sie mit Ihrem Kind sprechen, sind in jedem Fall offene Fragen sehr hilfreich, wie z.B.: Was machst du, wenn du zufällig auf eine solche Seite stößt? Warum konsumieren viele Jungen in deinem Alter Pornos? Die Jugendlichen brauchen dann allerdings einen Raum für gesichtswahrende Antworten. Außerdem sollten sie die Gewissheit haben, dass sie die Geräte nicht weggenommen bekommen, wenn sie den Konsum zugeben.
Unser Präventionsbuch bzw. -programm „Fit for love“ (Praxisbuch zur Prävention von Internet-Pornografie-Konsum, Tabea Freitag, Verlag: return), bietet vielfältige Anregungen für das Gespräch über das Thema Internet-Pornografie-Konsum.

Kinder brauchen Regeln für den Medienkonsum. Was ist, wenn sie diese missachten?
Generell gilt: Wir dürfen unseren Kindern nur so viel Eigenverantwortung geben, wie sie je nach ihrem Entwicklungsstand auch übernehmen können. Achten Sie konsequent darauf, dass Ihre Kinder beschlossene Regeln einhalten. Tut ein Kind das nicht, kann es der Faszinationskraft des Bildschirms noch nicht eigenständig widerstehen. Dann müssen wir als Eltern dafür sorgen, dass PC oder Smartphone zeitlich begrenzt zur Verfügung stehen, zum Beispiel per Schutzsoftware. Nach einiger Zeit kann man diese Beschränkungen wieder erweitern und schauen, ob die Selbstkontrolle besser gelingt.
Halten Jugendliche abgesprochene Regeln nicht ein, können Eltern beispielsweise darüber nachdenken, ihre Kinder stärker als bisher in Haushaltsarbeiten einzubinden, um das Verantwortungsgefühl zu stärken.

Eltern benutzen selbst mehr oder weniger häufig Smartphone und PC. Wie wirkt das auf die Kinder?
Eltern sind auch in Sachen Mediennutzung Vorbilder für Ihre Kinder: Wenn Sie selbst andauernd das Handy in der Hand haben, in direkten Gesprächen mit den Kindern auch noch Nachrichten ins Handy eintippen, dann wird Ihr Kind dies als selbstverständlich ansehen und auch so umsetzen. Das Gleiche gilt für die Arbeit mit dem Laptop: Gehen Sie nicht zur gemeinsamen Familienmahlzeit, sondern arbeiten weiter am PC, dann wird Ihr Kind seine PC-Zeiten auch nicht für solche Gemeinschaftstermine unterbrechen wollen. Deshalb: Wenn Sie von Ihren Kindern die Einhaltung von PC- und Handy-Regeln fordern, müssen Sie als Eltern diese Regeln genauso einhalten.

http://www.agrarheute.com/landundforst/news/internet-freizeit-beherrscht